NEUHEITEN: Die freche Diebin


Die freche Diebin -


DIE MAGIE EINER MILLION NÄCHTE

Das Flötenspiel des Spinnenbeschwörers drang bis herauf zu den Dachtraufen – zusammen mit dem abendlichen Ruf der Händler, den derben Scherzen der Straßenkünstler und dem fröhlich-angeheiterten Lachen der Schaulustigen. Freudenmädchen warben mit ihren sehnsüchtigen Blicken und körperlichen Reizen um großzügige Freier. Mit einem lasziven Augenaufschlag und ohne ein Wort mehr als notwendig zu verlieren, versprachen sie den Männern, diese Nacht für sie zu etwas Besonderem zu machen. Der gut gelaunte Trubel des zweiten „Dreisonnenfestes“ hallte von der Inselwelt bis hinauf in den Nachthimmel und von dort weiter in die Weiten zwischen den Sternen.

Vriks ruhiger Atem drückte ihre Brüste gegen das elastische Leder ihrer hautengen Diebeskleidung und sie zog sich tiefer in die tintenschwarzen Schatten der wolkenverhangenen Nacht zurück.

Gut, dass die Stadtwachen sie vorhin nicht bemerkt hatten. Denn, wenn diese erst einmal auf sie aufmerksam wurden und dahinterkamen, was sie alles an „Werkzeug“ bei sich trug, hätten sie zweifellos kurzen Prozess mit ihr gemacht. Denn als Diebin durfte sie keine Gnade erwarten – nicht in Almarkaz, nicht in der „Heiligen Stadt der drei Türme“, wo auf das Stehlen wie überall in den Ländern der ewigen Sommer ein schneller und grausamer Tod wartete …

Da unten in den Straßen des „dunklen Viertels“ wäre sie unter all den Besuchern zu sehr aufgefallen – vor allem als unbegleitete Frau. Deswegen nahm sie auch eine andere Art „Straße“ – auf den Dächern hoch über der Stadt.

Die „Straße der Diebe“.

Denn in ihrem Metier durfte man sich nicht bei der Arbeit zusehen lassen.

Zügig setzte sie sich auf den verwitterten Holz- und feuergebrannten Tonschindeln in Bewegung, lief auf Zehenspitzen über die Firste und Flachdächer und sprang über die engen Gässchen zwischen den Häusern hinweg. Ihre schlanken Beine nahmen Schritt um Schritt.

Es gab sicher schlimmere Stadtteile als das wohlhabende „dunkle Viertel“, doch nirgends sonst waren Arm und Reich so eng miteinander verwoben wie hier. Ein Paradies für all jene, die nachts etwas erleben wollten. Die das Außergewöhnliche suchten, das Geheimnisvolle, das Fremde und das mitunter Seltsame – die Magie einer Million Nächte. Und wie hieß es so treffend? Niemand war leichter zu beklauen, als betrunkene Reiche. Abgesehen vielleicht von reichen Betrunkenen …

Im Osten hob sich vor den schmalen Mondsicheln der weitläufige und spärlich beleuchtete Königspalast ab. Der Palast der „Goldfürsten“ dagegen erstrahlte schlank und schmal hinter ihr in seinem eigenen Licht. Viel heller als der Tempelturm des gehuldigten Jomdah im Nordwesten der Stadt, wo die Planwagen ihres Volkes lagerten.

Und vor ihr ragte der „vierte Turm“ der Stadt auf, wie er manchmal genannt wurde – das „Haus der Grünen Träume“. Genau auf einer sanften Anhöhe im Zentrum des „dunklen Viertels“ – dem „Bezirk der Sünde und des Lasters“.

Vrik – eigentlich Vrikah, aber niemand nannte sie so – balancierte lautlos über einen schmalen Dachbalken, der zwei weit entfernte Häuserdächer miteinander verband. Ein Bekannter hatte mal gemeint, sie sollte sich nicht so verführerisch mit Hüften und Taille bewegen. Das würde zu viel Aufmerksamkeit erregen. Woher er das wissen wollte, da er ja ausschließlich auf Männer stand, hatte sich ihr nie erschlossen. Aber eines wusste sie – es war für sie überlebensnotwendig, sich so frei bewegen zu können. Auch wenn das bedeutete, dass ihre Hüften mehr schaukelten, als der Anstand es gemeinhin als schicklich ansah.

Unter ihr flanierte in bester Feierlaune eine Gruppe gestandener Adeliger die „Prachtmeile“ entlang. Offenbar hatten diese dasselbe Ziel wie sie – das „Haus der Grünen Träume“. Mal sehen, wer zuerst dort war. Diese mit dem Silberlöffel im Mund geborenen Schlichtgemüter und einfältigen Pappnasen oder sie.

Vrik tänzelte über den vorletzten Dachfirst. Mit seinen hohen Spitzfenstern sah der graue Tempelpalast wie jeder andere in der Stadt aus, wäre nicht der mächtige Turm innerhalb der Mauern gewesen, der sich beinahe so hoch wie der Tempelturm des gehuldigten Jomdah in den Sternenhimmel erhob. Innerhalb der Palastmauern fanden sich noch zwei weitere Türme, diese waren jedoch nie fertiggestellt worden. Gerade so, als hätte ein gottgleicher Bauherr eines Tages das Interesse an der Menschheit verloren und sich für immer von ihr abgewandt.

Kettenhemden klirrten in den Straßen. Zwei Stadtwächter patrouillierten die Gasse hinunter. Vrik presste die Lippen zusammen. Es war noch nicht allzu lange her, dass sie von zwei Wächtern wie diesen beiden in einer Gasse entdeckt worden war und bei ihrer überstürzten Flucht einem dritten genau in die Arme lief. Nur Glück oder Schicksal hatten ihr damals das Leben gerettet. Seitdem hatte sie viel dazugelernt. Und trotzdem … Die Gefahr – die Aufregung – war es, die das hier erst lohnenswert machte. Den Tod im Nacken zu fühlen. Zu wissen, dass jeder Schritt der Letzte sein konnte. Zudem war nichts so befriedigend, wie die Reichen zu bestehlen. Jene Menschen, die niemals wirklich Not hatten erfahren müssen. Denen alles im Leben geschenkt worden war. Die sich niemals Sorgen zu machen brauchten, die keinerlei Konsequenzen zu fürchten hatten und sich alles nehmen konnten, was sie wollten, ohne zu fragen. Und die sich nicht auf den Dächern der Stadt vor dem Gesetz verstecken mussten.

Wie sie.

Vrik atmete tief durch. Sie war da. Wie bereits die anderen Male zuvor. Zwei Mannslängen von einem tiefen Fall auf das harte Pflaster der Straße entfernt.

Vriks Brüste hoben und senkten sich unter dem dünnen Leder. Sie lauschte dem Takt und dem Rhythmus der allgegenwärtigen Straßenmusiker, holte tief Luft und nahm Anlauf.

Flog.

Und …

Erreichte den Vorsprung auf der Mauer des Tempelpalasts. Die wegen der täglichen Gewitterstürme geschlossenen Fensterbalken ließen sich inzwischen leicht öffnen. Niemand hatte bemerkt, dass sie sie schon vor Wochen aufgebrochen hatte und wohl auch deswegen hatte niemand sie repariert. Sie zog sich in das Innere des Gemachs, rollte sich ab und sah sich um. Es war ruhig. Von unten hallten Musik, weinseliges Gelächter und das Gekicher der Freudenmädchen herauf. Dieses Gemach wurde nur selten benutzt. Leider – und das war der große Schwachpunkt an ihrem Vorhaben – musste sie jetzt ganz hinunter und quer durch das gesamte Gebäude, um auf der anderen Seite wieder hinauf zum Turm zu gelangen. Denn hier oben gab es keinerlei Verbindung nach drüben. Einmal hatte sie es über das Dach versucht, aber nie wieder. Beinahe hätte sie sich dabei den Hals gebrochen.

Sie schlich zur Tür, spähte durchs Schlüsselloch und öffnete. Floss wie ein Schatten hinaus. Mädchen wie sie hatten gelernt, dass die Dunkelheit ihr Freund war. Der süße, schwere Duft in Feuerschalen verbrannter Kräuter stieg ihr in die Nase sowie die balsamischen Geruchsnoten in Duftölen badender, teurer Frauen.

Versteckt hinter einem edlen, purpurnen Seidenvorhang, der mehr kostete, als Normalsterbliche in einem ganzen Leben an Lohn erhielten, lugte Vrik vom Balkon. In eine von hohen, breiten Marmorsäulen und grazilen Spitzbögen gestützte Welt schimmernder Seide, gefütterten Samts und käuflicher Lust. Das „Haus der Grünen Träume“ war besucht wie nie. Von Männern aus aller Herren Länder. Vriks Mundwinkel zogen sich nach oben. Das bedeutete, dass die Geldschränke und Kassen zum Bersten gefüllt mit Gold und Juwelen waren. Wundervoll!

Mächtige Adelige und hohe Stadtbeamte waren gleichermaßen unter den Gästen vertreten wie raffgierige Händler und verschlagene Betrüger. So feierten die Reichsten der Reichen, die wichtigen Menschen und jene, die sich für wichtig hielten. Hier trafen sich Männer, die das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden wollten und hinter hauchdünnen Wandschirmen im Flüsterton geheime Dinge zu besprechen hatten, die sie nirgends sonst erörtern konnten. Vor allem oder weil sie dabei ungestört bleiben wollten. Und doch bekamen die leichten Mädchen zweifellos mehr mit, als den meisten Männern lieb sein konnte.

„Runter!! Runter!! Runter!!“

Junggesellenabschied. Offenbar hatte der junge Bräutigam beim Trinkspiel verloren und musste jetzt einen ganzen Krug auf einmal leeren. Seine Begleiter feuerten ihn dabei kräftig an. Alle anderen waren mit Vögeln, Saufen oder Angeben beschäftigt.

Verdammt. Heute waren verflucht viele Wachen aufgestellt. Und damit waren nicht die zu Repräsentationszwecken zur Salzsäule erstarrten Eunuchen mit ihren schweren beidhändig geschwungenen Krummsäbeln gemeint. Mit ihren feisten, nackten Oberkörpern und ihren weiten, seidenen Pluderhosen. Nein, die wirklichen Wachen trugen Leder und Kettenhemden und waren mit tödlichen Säbeln ausgerüstet. Kettenglieder bedeckten wie Schleier ihr Gesicht – mit ihnen sahen sie fast genauso wie die Diebe aus, die sie von diesem Haus fernhalten wollten.

Ohhhh … Wen haben wir denn da?! Alle Mann stillgestanden!

Die Besitzer dieses Horts der Lust erwiesen ihren Gästen persönlich die Ehre und begrüßten sie sogar per Handschlag. Die „Prinzen“, wie sie von den meisten Kunden genannt wurden. Wie sie wirklich hießen, wussten wohl die wenigsten. Hmm … Mussten verdammt hohe Tiere sein, wenn die beiden sie derart hofierten.

Hinter ihr erklang ein Geräusch. Bewegung. Vrik wirbelte herum. Ein Mann mit zwei barbusigen Frauen im Schlepptau kam lachend den Balkonrang entlanggeschritten und Vrik verschmolz erneut mit den Schatten. Der Kerl verschlang die beiden mit seinen Lippen und Vrik errötete ob der Intimität der Küsse. Eine süße Wolke fing sie ein. Hatten die Frauen etwa in ganzen Fässern voller Duftwasser gebadet?! Die Brüste der beiden waren zum Neiderblassen schön. Die Absätze ihrer Lederstiefel, die bis zu den Pobacken reichten, klackerten bei jedem Schritt. Ösen und Haken waren in das feine Leder eingearbeitet und boten sich für eine Vielzahl Verwendungsmöglichkeiten an. Genauso wie die an den schwarzen Handschuhen, die ihre Arme bedeckten und entlang ihrer Schultern über breite Bänder miteinander verbunden waren. Die buschigen Fellläuferschwänze, die zwischen ihren Pobacken herausragten und bis zu den Knien reichten, wippten aufreizend in alle Richtungen. Zweifellos steckten die Metallkegel am vorderen Ende dieser Schwänze tiefer in den Polöchern der beiden Mädchen, als diese errötend zugegeben hätten.

Vrik atmete tief durch. Die Vorstellung, so ein Ding in sich zu spüren, ließ sie erschaudern. Und dennoch … Im „Haus der Grünen Träume“ trugen alle Mädchen diese Lederstiefel, Handschuhe und den meisten Fällen auch den weichen Schwanz der Fellläuferweibchen aus den Dschungelwäldern fernab der Stadt.

Geduldig wartete sie ab, bis die drei in einem der Gemächer verschwunden waren und sich die Vorhänge hinter ihnen schlossen. Auf Zehenspitzen setzte sie sich wieder in Bewegung. Inzwischen kannte sie den Weg wie ihre Westentasche und damit alle dunklen Nischen, in denen sie sich verstecken konnte. Aber sie durfte nicht leichtsinnig werden. Leichtsinn war seit jeher der Tod der Diebe. Bisher hatte sie sich nur auf den Diebstahl kleinerer Wertsachen beschränkt – und dabei ausschließlich auf Goldmünzen, deren Verschwinden nicht auffiel – schon gar nicht, wenn die Männer in bester Feierlaune sie mit vollen Händen verjubelten. Doch diesmal würde sie sich nicht mit Kleinigkeiten zufriedengeben. Oh nein – diesmal wollte sie ihr großes Meisterstück abliefern und sich danach für immer zur Ruhe setzen.

Wochenlang hatte sie sich auf diese Nacht vorbereitet. Sie war sogar mehrmals unbemerkt bei dem Schmied eingebrochen, der das Wunderwerk von einem Geldschrank gefertigt hatte, um seine Konstruktion und sein Innenleben zu studieren. Und es hatte sich gelohnt. In nur einer einzigen Stunde hatte sie schließlich alle seine zwei Dutzend vor Ort vorrätigen Metallschränke geknackt. Jetzt musste sie nur noch in die Geschäftsräume der beiden „Prinzen“ und sich holen, was ihr zustand. Juwelen, so groß wie ihre geschlossene Hand!

Es war zu riskant, die mit rotem Samt ausgelegten Prunkstufen nach unten zu nehmen. Viel zu viele Leute. Sie kannte da einen besseren Weg und der begann hinter einer mit einem Schloss versehenen Tür. Das massive Schloss war ebenso teuer wie die intarsienverzierten Edelhölzer aus dem tiefen Dschungel, aus denen sie gefertigt war. Ihre Hand glitt zu ihren Diebesschlüsseln und sie sah sich um, ob jemand kam. Das Schloss knirschte leise und sprang auf. Vrik glitt in das Innere und verschloss die Tür wieder fein säuberlich hinter sich. Wie hieß es in Diebeskreisen? Es war nur dann eine gute Arbeit, wenn niemand mitbekommen hatte, dass man überhaupt da gewesen war. Von hier war es nach unten nicht weit – und man gelangte nahezu überall hin. Nur leider nicht dahin, wo es jetzt wirklich von Vorteil gewesen wäre. Nicht in den großen Turm. Man schaffte es lediglich auf die andere Seite des Palastbaus. Aber das musste reichen. Es hatte bisher immer gereicht.

Wenigstens musste sie dann nicht an all den Liebesnischen und Bädern zu ebener Erde vorbei, sondern bewegte sich einfach unter dieser grell duftenden, glitzernden Welt hindurch.

Lautlos lief sie die letzten Stufen hinauf, ging in die Knie und starrte durch das Schlüsselloch der Tür. Niemand da. Gut. Ihr Werkzeug tat den Trick und sie öffnete die Tür einen Spalt. Ein barbusiges Mädchen mit hochhackigen Schuhen, Taille betonendem Korsett und einer Maske, die wie der Maulkorb eines wilden ungezähmten Tieres aussah, ging gedankenverloren an ihr vorbei und nahm würdevoll die samtteppichüberzogenen Marmorstufen nach unten. Hmm … Hübsche Haare … Jetzt schnell!

In einer fließenden Bewegung schlüpfte Vrik hinaus, schloss die Tür hinter sich und wurde hinter einem Seidenvorhang eins mit dem edlen Stoff. Jetzt nur noch den Gang entlang und …

Beinahe hätte sie einen Schrei ausgestoßen und wäre ausgerutscht. Doch dafür hatte sie sich glücklicherweise zu sehr im Griff.

Wachen!

Überall.

Und es waren nicht die, die regulär zum „Haus der Grünen Träume“ gehörten. Die Helme und der dazugehörende Kieferschutz waren völlig anders. Die Helmbrünnen. Dazu die Ringpanzerhemden aus Bronze und …

Schnell wie der Wind verschwand sie hinter einen goldenen Seidenvorhang und linste in Richtung des Menschenauflaufs.

Was zum …

Die Adeligen! Die Adeligen, die sie vorhin auf der Straße gesehen hatte! Sie schienen die Ehrengäste der „Prinzen“ zu sein. Na! Sie hatten ja keine Zeit verschwendet und alle Gemächer von hier bis zu den Geschäftsräumen ihrer Gastgeber für ihre Feier belegt. Dazu zehnmal mehr Frauen, als ein Mann alleine in einer einzigen Nacht bewältigen konnte. Sie konnte unmöglich ungesehen an ihnen, den vielen Wachen und den Frauen vorbei. Sie sperrten den gesamten Gang bis zum Balkongeländer ab. Warum ausgerechnet heute?

Verfluchtes „Dreisonnenfest“!

Das änderte allerdings alles.

Vrik kaute auf ihrer Unterlippe herum. Sie hätte das alles hier verschieben können. Doch dann wiederum … Es musste heute Nacht passieren. Morgen war es zu spät. In den frühen Morgenstunden würden das Gold und die Juwelen unter strenger Bewachung an einen sicheren Ort abtransportiert werden – und dann bekam sie erst in vielen, vielen Monaten wieder eine Chance wie diese.

„Na los“, schnauzte einer der Adeligen mit einem wolkengrauen Schnurrbart, dessen Enden kunstvoll eingekringelt waren. „Schafft noch ein paar Mädchen ran. Die hier sind mir alle zu alt und zu fett. Ich will JUNGE Mädchen. Habt ihr gehört?! JUNGE Mädchen!“

Typisch Mann. Total krank. Keine Frau konnte ihnen jung und schlank genug sein.

Am besten war es wohl, wenn sie noch ein wenig zuwartete, aber so wie diese Männer drauf waren, konnte ihre „Feier“ bis zu den frühen Morgenstunden und länger dauern und dann war es wahrscheinlich bereits zu spät. Oder aber … Sie musste improvisieren. Und dafür brauchte sie eine Verkleidung. Zum Glück wusste sie auch, wo sie die herbekommen konnte. Sie musste nur schnell den Weg zurück, den sie genommen hatte. Zurück durch ihre Abkürzung und quer durch das Gebäude. Und dort …

Wie sie vermutet hatte.

Der Mann mit den zwei Frauen hatte eine von ihnen mit ihren Armmanschetten an die Wand hinter dem Bett fixiert und pumpte schnaufend auf sie ein, während ihm die andere zwischen die Beine griff und ihm den Sack und den Rücken massierte. Ihre Kleider hatten sie gänzlich abgelegt, ihre Stiefel und Handschuhe. Ihre Maulkörbe und Korsette lagen am Boden. Dazu die Fellläuferschwänze. Hoffentlich passte etwas davon. Vrik ließ die drei nicht aus den Augen und griff sich schnell alles, was ihr passend erschien. So schnell wie möglich machte sie sich wieder aus dem Staub, lief zurück durch den Gang und wieder hinauf. Wenn sie jedes Mal eine Goldmünze bekommen hätte, wenn sie diesen Weg benutzte, wäre sie auch jetzt schon reich gewesen.

Vor der Tür blieb sie stehen und atmete tief durch. Sich hier im Gebäude an Gäste und Freudenmädchen anzuschleichen, war eine Sache – aber was jetzt folgte, eine komplett andere.

Sie schälte sich aus ihrem eng anliegenden, nachtschwarzen Diebesgewand, bis sie völlig nackt war und schlüpfte in die gestohlene Kleidung. Wider Erwarten passten die Handschuhe und das Korsett wie angegossen. Die hochhackigen Lederstiefel jedoch waren einen Tick zu groß. Zum Glück konnte man die einzelnen Lederbänder um die Oberschenkel auf jede Größe einstellen. Sie schnitt die Finger der Handschuhe mit ihrem Messer ab und zurrte die Bänder fest. Blieb nur noch der Metallkegel mit dem bauschigen Fellläuferschwanz, der bei jedem Schritt wie eine Blüte im Wind raschelte. Hielt ihn hoch. Das Ding?! Niemals! Lächerlich sah das Ding definitiv nicht aus. Ganz im Gegenteil. Vor allem, wenn man wusste, wo man dieses Mörderteil hinzustecken hatte. Und wie tief. Im Gegensatz zu dem Maulkorb, der sie am Sprechen hindern würde – der sah definitiv lächerlich aus.

Egal jetzt. Sie musste ihr Werkzeug verstauen. Verflucht … Wie sollte sie in dem Aufzug etwas verwahren? In ihrem Korsett und in den Stiefeln war kein Platz. Sie zog ihren schwarzen Ledergürtel aus ihrem Diebesgewand und schnallte ihn sich oberhalb ihres teilrasierten Venushügel an die Hüften. Frechheit siegte! Auf ihre Diebesschlüssel konnte sie nicht verzichten. Keinesfalls. Aber genug jetzt. Sie schüttelte ihr langes, dunkelbraunes Haar aus, band es mit ihrem Haarschmuck zu einem Schweif und legte die schwarze Tiermaske an. So schritt sie auf den Gang hinaus. Wenn die Männer „junge Frauen“ wollten, sollten sie auch „junge Frauen“ bekommen.