„Machen Sie Witze, Misses? Das ist der beste Sommerjob überhaupt.“ Benny blies vielsagend die Luft aus und hob die Arme, als wollte er allen Heiligen danken.
„Boatsitter gesucht“ war in der Annonce gestanden. Zwei volle Monate auf einem Riverboat am Mississippi – für einhundert Dollar am Tag! Und das Einzige, was dafür von ihm erwartet wurde, war, zwischendurch das Deck abzukehren und interessierten Käufern Mrs Diaboloderas Handynummer zu geben. Wenn das mal nicht der Job des Jahrhunderts war!
Euphorisch ließ er seinen Blick über das weiß gestrichene Holz der „Three Ladies“ schweifen und folgte der wunderschönen Maklerin die Stufen hinunter in den Salon des Schiffes.
„Mistress“, korrigierte Mrs Diabolodera und schüttelte ihr hüftlanges, pechschwarzes Haar nach hinten. Provozierend setzte sie sich auf einen der Barhocker an der Bar und schlug ihre in Strümpfe gehüllten Beine übereinander.
Mistress?
Benny schluckte.
Der eigenartige Klang des Wortes prickelte heißkalt seinen Rücken hinab. Aber nicht unangenehm. Ganz und gar nicht unangenehm. Verstohlen beäugte er die wunderschöne Maklerin – ihre atemberaubend langen Beine, ihre unter dem Businessrock verborgenen strammen Pobacken und … Oh mein Gott. Sie trug keinen BH unter ihrer cremeweißen Seidenbluse. Ihre Brüste schimmerten pastellfarben durch den hauchdünnen Stoff hindurch. Und ihre rosa Knospen …
Das Blut rauschte heiß in seinen Ohren.
Die Enge des heimeligen Salons verstärkte nur den himmlischen Duft ihres Parfums.
Er hielt den Atem an.
Verdammt … Nur zu gern wäre er älter gewesen. Alt genug, sich mit dieser Wahnsinnsfrau zu verabreden. Aber er hätte sich ja doch nicht getraut zu fragen. Dafür war er viel zu schüchtern.
Bis über beide Ohren errötend warf er einen flüchtigen Blick durch die Glasfront des gemütlichen Salons auf ihren Sekretär und Assistenten, der geduldig auf der Mole wartete. Der Haitianer mit dem handgeschnitzten Glücksamulett um den Hals hatte sich mit Sèvitè vorgestellt und sich partout geweigert, auch nur einen Schritt auf das Boot zu setzen. Abergläubisch starrte er herüber. Benny fand das zu komisch – geradezu rückständig. Der wie eine schwarze Bulldogge riesige Kerl fürchtete sich vor ein bisschen schwankendem Holz und Wasser?! War das zu glauben? Viel Muskeln – wenig Gehirn … Aber vielleicht konnte er auch nur nicht schwimmen.
So heiß, wie Mistress Diabolodera aussah, hätte Benny sie überallhin begleitet – bis in die Höhle des Löwen. Und nur zu gern wäre er ihr Assistent gewesen. Sie war nicht nur zum Seufzen schön. Sie war geradezu zum Atemanhalten scharf. Auf seltsame, unnahbare Art. Sie wirkte exotisch. Aufregend und …
Schwer zu schätzen, wie alt sie war. Sie strahlte eine zeitlose Schönheit aus. Sie konnte Anfang zwanzig sein – aber genauso gut weit jenseits der dreißig. Und etwas in ihrem Blick ließ Benny jetzt tatsächlich den Atem anhalten. Ihre schwarzen Augen … Sie glühten vor Lebenserfahrung. Als hätten sie Dinge gesehen, die er sich nicht einmal in seinen kühnsten Träumen vorzustellen wagte.
Sein Blut schoss nabelabwärts und schwer einatmend presste er die Lippen aufeinander. Der Schritt seiner Hose beulte sich aus.
Hochrot sah er wieder nach draußen über das Wasser. Am anderen Flussufer erstreckten sich die Ausläufer des Big Easy – New Orleans in all seiner Pracht und Herrlichkeit.
„Es gibt da ein paar Details, die du über die ‚Three Ladies’ wissen solltest.“
„Hören Sie, Mistress“, entrüstete sich Benny und lächelte verlegen. „Ich bin seit drei Monaten achtzehn. Alt genug, zu heiraten und mich scheiden zu lassen.“ Um nicht hoffnungslos aufs Neue erröten zu müssen, vermied er, sie anzusehen. „Ich glaube, ich werde es verkraften, wenn Sie mir eröffnen, dass an Bord der ‚Three Ladies’ gewisse lasterhafte Dinge …“ Er warf einen hastigen Blick auf das Ölgemälde über dem Klavier und …
Geriet vom Regen in die Traufe.
Drei Wahnsinnsfrauen starrten von dem Gemälde herab und zogen ihn aufs Neue in ihren Bann. Eine heiße Röte schoss ihm in die Wangen. Von Mal zu Mal fiel es ihm schwerer, sich der Ausstrahlung dieses Kunstwerks zu entziehen.
„Die ‚Three Ladies’ war ein schwimmendes Bordell“, nannte Mistress Diabolodera das Ding beim Namen.
Benny blies hörbar die Luft aus und ließ vor seinem geistigen Auge noch einmal die Führung durch das Schiff Revue passieren. Vom Heck bis zum Bug, vorbei an den Gästekabinen, dann hinauf über das Mitteldeck zur Brücke und wieder zurück hierher in den Salon. Dorthin, wo die Besichtigung begonnen hatte …
Das Ölgemälde über dem Flügel beherrschte den Raum. Zog ihn an. „Die drei Ladys“, die drei sinnlichsten Geschöpfe, die er jemals gesehen hatte – abgesehen vielleicht von Mistress Diabolodera – taxierten ihn, sich ihrer unfehlbaren Wirkung auf Männer bewusst. Die figurbetonte Mode des ausgehenden 19. Jahrhunderts schmeichelte jeder ihrer wohlgeformten Kurven, den schmalen Taillen und den langen Beinen …
Das waren die legendären drei Schwestern, denen das Riverboat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehört hatte. In lasziven Posen rekelten sie sich auf dem Tigerfell, ohne dabei vulgär und billig zu wirken. Man musste jedoch zweimal hinsehen, um sich zu vergewissern, dass es tatsächlich so war. Ja … lasziv … sehr lasziv. Aber nicht anstößig.
Und die Kleider, die Gesichter, jedes einzelne Lächeln … Alles sah so echt aus, so lebendig, das in Öl verewigte Licht so täuschend wirklich, dass der Betrachter schier geblendet die Augen schließen wollte. Und die Farben … Er hatte noch nie so ein strahlendes Blau, so ein glänzendes Gelb und so ein grelles Rot gesehen. Am liebsten hätte er jede Falte der Kleider berührt, um sich zu vergewissern, wie weich sich die Seide unter seinen Fingerspitzen anfühlte.
Die blutroten Lippen verhießen Küsse jenseits seiner Vorstellungskraft. Ihr Lächeln war auf verstörende Art irritierend. Und die suchenden Blicke der unter samtig schwarzen Wimpern verborgenen, blauen Augen funkelten und blitzten. Man konnte sich gar nicht auf eines der Augenpaare konzentrieren, ohne sich dem drängenden Gefühl erwehren zu müssen, andernorts etwas zu versäumen. Man wollte alles gleichzeitig ansehen.
Und erst jetzt fiel es ihm auf.
Das Bild zeigte den Salon. Ein Abbild des Hier und Jetzt und doch beinahe hundertfünfzig Jahre entfernt. Und die Frauen befanden sich genau dort, wo er gerade stand.
Ihm zu Füßen.
Er mitten unter ihnen.
Das Atmen fiel ihm von Herzschlag zu Herzschlag schwerer. Und sein kleiner Freund nabelabwärts … Nur zu deutlich spürte Benny, wie er sich mehr füllte und anschwoll. Jede von ihnen wäre einen Mord und wenigstens fünf Selbstmorde wert gewesen … Mehr als das …
„Wie gesagt … Ich verkrafte es.“ Seine Stimme brach. Er räusperte sich und war froh, wieder der hübschen Maklerin in die Augen blicken zu können. Schwer zu entscheiden, wer nun heißer aussah – Mistress Diabolodera oder die drei Frauen auf dem Gemälde. Die Mistress war wenigstens echt und quicklebendig …
„Okay, Benny“, nickte die atemberaubende Maklerin und strich erneut ihr langes Haar nach hinten. „Dann kläre ich dich jetzt auf, wie die Dinge hier laufen. Du wärst nicht der erste Student, der hochkantig über Bord fliegt.“
„Sie können sich auf mich verlassen, Mistress Diabolodera.“
…