Was für eine Party!
Das Herz klopfte Sarah bis zum Hals. Wie schon die letzten sieben Mal war es kein Problem gewesen, in das schöne Anwesen am Hügel zwischen Studenten- und Oberschichtviertel eingelassen zu werden. Ihr Aussehen und ihre Ausstrahlung hatten wie immer geholfen.
Ein Lächeln zog ihre geschwungenen Lippen nach oben. Sie musste fast grinsen, wenn sie an den tollpatschigen Gesichtsausdruck des Aushilfstürstehers dachte, während er ihr auf Po und Oberweite starrte. Heute war das weiße Kleidchen ihre Verkleidung, das kaum ihren Arsch bedeckte. Er war sich nicht sicher gewesen, ob er sie ohne Einladung einlassen sollte. Ihr Lächeln hatte ihm dann die Entscheidung abgenommen. Das und der Kuss auf die Wange mit den geflüsterten Worten, dass sie ihm ihre Einladung nachbringen würde. Bei ihm zuhause.
Männer!
Sie dachten alle nur mit ihrem Schwanz.
Schnell sah sie sich um. Genau so feierten die Söhne und Töchter der Schönen und Reichen das Ende der Woche. Wie auch die letzten Male. So sah das Leben auf der Überholspur aus, wo jeder entweder jemand Wichtigen kannte – oder besser noch, selbst wichtig war. Und sie hatte es auf die harte Tour gelernt, sich hier zu bewegen, als würde sie dazugehören. Ihre Designer-Kleider, die Gucci Handtasche und die High Heels von Louis Vuitton halfen dabei entscheidend mit. Oh ja, sie liebte es, die reichen Kids zu beklauen, denen im Leben alles geschenkt wurde. Die Kids, die mit dem goldenen Löffel gefüttert und großgezogen wurden. Und die sich niemals Sorgen zu machen brauchten.
„Trink! Trink! Trink! Trink!“
Ein Typ Anfang zwanzig versuchte gerade, einen Rekord im Sangriawettsaufen aufzustellen. Die meisten feuerten ihn an.
Auf Zehenspitzen schlich Sarah an knutschenden Pärchen vorbei. An betrunkenen Typen, die gierige Blicke auf ihre Beine warfen, ihren Po mit den Augen streichelten und in Gedanken den prallen Schwung ihrer Brüste nachfuhren. Dass sie Aufmerksamkeit erregte, war ganz normal. Die Kunst war es jedoch, sich diese Aufmerksamkeit zunutze zu machen und nur zu provozieren, wenn es ihrem Plan auch half.
Aus den Augenwinkeln sah sie Rick und Aron. Die beiden hatten keine Freunde – sie hatten Followers. Und trotzdem dass Rick dauernd behauptete, seine Eltern würden ihn finanziell kurz halten, trug er eine sündteure Rolex am Handgelenk, lief in einem maßgeschneiderten Anzug herum und hatte draußen vor dem malerischen Anwesen einen Lamborghini parken. Deswegen war er auch immer von einem halben Dutzend Mädchen gleichzeitig umringt, die sofort bereit gewesen wären, ihm auf der Stelle den Schwanz zu lutschen. Sie hatte schon überlegt, diesem Mistkerl die Rolex und den Wagen zu klauen, doch das wäre viel zu auffällig gewesen. Nein, sie hatte eine andere Methode, um den beiden eine Lektion zu erteilen. Eine bessere!
Sie tat, als würde sie in ihrer Handtasche nach ihrem Lippenstift suchen und warf einen ausgiebigen Blick auf das Display ihres Handys. Das Bild der beiden Minikameras, die sie schon vor Wochen im Anwesen versteckt hatte, lief live über den kleinen Bildschirm. Sehr gut! Der Weg zum Büro war diesmal frei und niemand sah in ihre Richtung. Diesmal hatte sie feie Bahn. Zeit, wie ein Geist zu verschwinden!
Sie bewegte sich rückwärts und schwupps war sie der wilden Partyhölle des Wohnzimmers entkommen. Zehn Schritte den Flur hinunter und dann fünfzehn Schritte nach links. Es war schon fast zu einfach. Zu langweilig. Während des Gehens streifte sie sich ihre Seidenhandschuhe über die Finger sowie die schwarze Seidenmaske über das Gesicht und ließ das Display ihres Handys nicht aus den Augen. Bestens. Alle waren mit Knutschen, Saufen und Angeben beschäftigt. Ein helles Kichern hallte durch den Flur.
Ha! Offenbar hatten Aron und irgendein Mädchen das Schlafzimmer von Ricks Eltern gefunden. Das tat er immer … Genau wie Rick.
Sie betrat das Büro von Ricks Vater. Der Safe befand sich hinter dem Porträt des Richters. Ein protziges Ölgemälde mit barockem goldenen Rahmen. Das Display ihres Smartphones zeigte, wie sie selbst das Büro betrat. Ein prickelnder Schauer jagte ihr Rückgrat hinab. Sie sah so verrucht in dem Minikleid, den Strümpfen und den High Heels aus. Die Maske und die Handschuhe gaben dem Outfit den letzten Schliff. Fast schade, dass niemand außer ihr diese Aufnahmen jemals zu Gesicht bekommen würde! Aber das alles würde wohl ihr kleines Geheimnis bleiben müssen ...
Sie lächelte in das gut versteckte Objektiv der Kamera. Der gute Richter hätte mehr in die Sicherheit investieren sollen. Tz, tz, tz … Schon beim ersten Mal hatte sie sich gewundert, dass hier im Büro keine Kameras zu finden gewesen waren. Trotzdem – Vorsicht war besser als Nachsicht. Deshalb auch die Maske!
Sie schob das Bild zur Seite und drückte die Kombination des Safes. Lautlos schwang die schwere Metalltür auf. Und da lagen sie – die fein säuberlich gestapelten Geldbündel. Und diesmal würde sie sich nicht mit läppischen dreitausend Euro zufriedengeben. Diesmal würde sie viel mehr mitgehen lassen. Denn das hier war das große Finale – die Abrechnung!!
Ein funkelnder Saphir lachte ihr entgegen. Schon wie die anderen beiden Male. Und sie spielte mit dem Gedanken, ihn auch mitzunehmen. Doch das war zu riskant. Ein Stein wie dieser ließ sich sicher nicht einfach beim nächsten Juwelier verkaufen und den Stein bei ihr zu finden, hätte ihr sicher fünf bis zehn Jahre eingebracht. Ja, sie hatte sich im Internet informiert. Man musste nicht Jus wie Rick studieren, um das zu wissen!
Sie musste den Stein anfassen, wenigstens einmal! Der war sicher ein Vermögen wert! Wie er funkelte und strahlte. Am liebsten hätte sie ihn sofort in ihrer Handtasche verschwinden lassen. Dort wo ihn niemand mehr finden würde. Seufzend legte sie den Stein zurück. Das Geld musste reichen … Fünfhundert Euro Banknoten. Sie packte die Päckchen in die Geldtasche. Jeder Geldschein 0,1 Millimeter dick. Hundert Scheine pro Päckchen. Sechs Päckchen. Dreihunderttausend Euro. Genug Geld, um der ganzen Welt die nächsten zehn Jahre den Mittelfinger zu zeigen! Ja, sie würde in die Sommerferien verschwinden und nie wieder hier auftauchen!
Sie durfte jetzt keinen Fehler machen. Sie durfte nicht die beiden Kameras vergessen. Sorgfältig verschloss sie den Safe, rückte das Bild wieder an seine Position und streckte sich nach der Minikamera oben im Bücherregal. Ihre Brüste drückten gegen den dünnen Stoff ihres Minikleidchens. Und erst jetzt fiel ihr auf, wie klein und fest ihre Nippel waren. Das Adrenalin dieses Thrills jagte durch ihre Adern. Sie schlich auf Zehenspitzen aus dem Büro und schloss die Tür hinter sich. Noch immer war das Kichern aus dem Schlafzimmer von Ricks Eltern zu hören. Und das lustvolle Stöhnen des Mädchens.
Schnell ließ sie ihre Handschuhe und ihre Maske in ihrer Handtasche verschwinden. Dreihunderttausend Euro!
Ganz schön schwer.
Ja, sie hatte es weit gebracht von ihrer ersten gestohlenen Brieftasche mit gerade einmal fünfundzwanzig Euro Inhalt bis zu den dreihunderttausend Euro in ihrer Handtasche. Immer wenn die Welt ihr einen Platz jenseits der Freiheit zuweisen wollte – hatte sie es ihr gezeigt. Und jetzt gerade hatte sie ihr dreihunderttausend Mal in den Arsch getreten!
Sie warf einen Blick auf ihr Handy und …
Moment!
Da stimmte etwas nicht. Das Bild, das das Wohnzimmer hätte zeigen sollen … Es war schwarz.
Sie hielt den Atem an, öffnete die Tür und …
„Rick!“, entfuhr es ihr.
Aron stand hinter ihm.
Beide starrten sie an. Mit Blicken, die sich bis in ihren Schoß schlängelten.
„Tolle Party“, lächelte sie. Das Herz klopfte ihr bis unter die Schädeldecke. „Ich musste nur mal kurz für kleine Mädchen und mir mein Näschen pudern …“
Die beiden sahen sich kurz an und lachten schallend.
Sie hielt noch immer ihr Handy in der Hand.
„Du hast gerade den ultimativen Fehler gemacht.“
W-Was??
„Suchst du etwa das hier?“ Rick hielt böse grinsend ihre Minikamera in die Luft. „So, so … Du stehst also auf Kameras, kleines Kätzchen! Interessant …“
„Ich …“
Sie wollte zurückweichen.
Doch da hatten sich schon seine festen Hände um ihre Handgelenke geschlossen.
„W-Was soll das? Lass mich los.“
Aron entriss ihr die Handtasche und stieß einen leisen Pfiff aus. Mit einem vielsagenden Blick zeigte er Rick die dreihunderttausend Euro.
Ricks Augen funkelten. Da war definitiv so etwas wie Wut aber auch Bewunderung in ihnen.
„Oh, kleines Kätzchen … Wir sollten uns definitiv mal unterhalten.“
…