Kurzgeschichten: An Der Leine Des Wolfsfürsten


An Der Leine Des Wolfsfürsten -


„Noch eine Runde für mich und meine Kumpels. Auch für dich, Rotlöckchen! Dafür zeigst du uns aber mal deine Titten!!“

Red unterdrückte ein Schnaufen und schenkte dem ungehobelten Klotz ein höhnisches Lächeln quer über die Theke. Das trieb ihm die Röte ins Gesicht.

„Könnte ich tun, Fat Bill! Willst du, wie das kleine Mädchen so machen, sehen, wer von uns beiden die Größeren hat?!“ Sie lachte schallend und leerte ihr Glas mit einem Zug.

Ein spöttisches Raunen ging durch den gut besuchten Schankraum des „Silver Dagger“ und einige Kerle lachten laut. Etliche Bierkrüge wurden gehoben, um anzustoßen. Fat Bills Gesicht wurde noch röter. Verdattert starrte er in die Runde.

Der „Silver Dagger“ war eine typische Jägerbar in Stadtnähe mit Autobahnanschluss. Getarnt als Biker- und Truckertreff fanden sich hier alle, deren Geschäft das Übernatürliche war. Ausnahmslos jeder besaß spezielle Fähigkeiten. Fähigkeiten, die sie erst zur Jagd auf das Böse der übersinnlichen Welt qualifizierten. Hier bekam man immer einen guten Tipp, konnte sich über Jagdtechniken austauschen und Joey, die Barfrau, wusste immer, welcher Auftrag am meisten Kohle brachte – und welcher das Risiko nicht wert war. Leder, versteckte Waffen, Muskeln, Testosteron und fetzige Bikes – das war der „Silver Dagger“. Und Red mittendrin. Sie hatte sich schon immer inmitten dieser rauen Gesellen wohlgefühlt. Sie waren wild, unkontrolliert und legten nicht den geringsten Wert auf gute Manieren und Höflichkeit. Genau wie sie. Mit tödlicher Sicherheit brach hier jeden Abend eine Schlägerei aus, die erst dann beendet war, wenn mindestens ein Arm gebrochen und ein Zahn ausgeschlagen war. Und die Cops – die kamen jedes Mal zu spät. Oder gar nicht. Irgendwie hatte Red heute Nacht Lust, sich zu prügeln.

„Hey, Fat Bill, das lässt du dir doch nicht etwa von dieser roten Streunerin gefallen, oder?“, hetzte Slimeball und sah sensationslüstern von einem zum anderen. Wie jeden Abend wollte er eine zünftige Klopperei sehen – aus sicherer Entfernung, dieser Feigling!

Fat Bill erhob sich und zerschlug eine Bierflasche. Drohend zeigten die abgesplitterten Zacken des Flaschenhalses auf Red. „Entweder, ich bekomme jetzt meine Titten zu sehen, oder ich schlitze deinen Catsuit auf wie eine reife Mandarine.“

„Du willst Titten sehen?!“ Red grinste. Zufällig hatte sie welche – und die waren ganz hübsch anzuschauen. Doch Fat Bill würde sie nicht zu sehen bekommen. Niemals. Und auch sonst keiner dieser Halunken.

„Ich zeig dir jetzt, wie man so was macht!“

Red lehnte sich lässig gegen die Bar und warf Cindy eine Goldmünze zu. Die schwarzhaarige Kellnerin stand zwar auf Frauen – aber vor wem sie die Hüllen fallen ließ, war ihr egal, solange der Preis stimmte. Und Joey hatte kein Problem damit. Für ihr gutes Aussehen hatte sie sie auch eingestellt. Die Männer pfiffen und hoben Cindy auf den Bartresen. Musik setzte ein und sie entblätterte sich. Ganz langsam. Zum Atemanhalten aufregend. Ihr Kellnerinnenoutfit rutschte ihre bestrumpften Schenkel hinunter und ihr BH … Er platzte davon und Fat Bill direkt ins Gesicht. Ihre runden Brüste wippten den gierigen Männerblicken entgegen.

„Zufrieden, Fat Bill? Wie gefallen dir IHRE Titten?“, grinste Red. „Und jetzt sei ein ganzer Mann und zeig uns DEINE!“

Diesmal war das Lachen seiner Kumpels noch lauter.

Fat Bill stieß ein Röhren aus und stürmte auf Red zu. Doch bevor er ihr gefährlich nahe kommen konnte, stolperte er und knallte der Länge nach auf den Boden. Irgendjemand hatte ihm ein Bein gestellt. Schnaubend rappelte Fat Bill sich hoch und warf sich auf den vermeintlichen Übeltäter. Es folgten Faustschläge und Tritte. Zeit, alte Rechnungen zu begleichen!!

„Was ihr kaputtmacht, zahlt ihr mir!“, brüllte Joey mit klarer Altstimme, die sie befähigt hätte, in einem Sinfonieorchester zu singen.

Einer der Männer crashlandete bei Cindy auf dem Tresen und die schwarzhaarige Kellnerin kreischte auf. Beinahe stolperte sie von ihrem Podest. Die Goldmünze fiel ihr aus der Hand und rollte über den Fußboden. Drei Jägerschlampen waren sofort auf den Beinen, um sich die Münze unter den Nagel zu reißen. Na wartet!

Red duckte sich unter einem Faustschlag weg und jagte der Münze hinterher. Das war ihre Münze, verdammt!!

Ebony, Precious und Diamond zankten sich um die Münze. Was für Nutten!

Red wich etlichen Beinen und Füßen aus und bekam Diamonds Hand zu fassen.

„Gib her, du Bitch! Das war meine Münze. Und ich hab sie Cindy gegeben.“

„Ach ja??? Es steht aber gar nicht dein Name drauf, Miststück!“

„Her damit, Schlampe!“

Die Münze entschlüpfte Diamonds Fingern und rollte weiter. Ebony und Precious versuchten danach zu greifen. Zu langsam. Red setzte hinterher. Die Münze stieß gegen das blank geputzte Leder eines italienischen Herrenschuhs, fiel um und blieb auf der Holzdiele liegen. Zu dem schwarzen Herrenschuh gehörte auch noch ein Armani-Anzug und eine diamantbesetzte Krawatte von Stefano Ricci. Und der Typ, der im Anzug steckte – er war einen zweiten Blick wert. Definitiv. Roh. Dunkel. Breites Kinn. Kantige Züge. Ein richtiger Kerl eben.

Mit einem amüsierten Lächeln hob er die Münze auf und half Red hoch.

„D-Danke“, brachte sie mühsam hervor und kam sich plötzlich neben dem attraktiven Typen klein und nichtig vor. Und hoffnungslos underdressed. Obwohl sie sicher besser als er in diese Bar passte …

„Ihre?“ Er gab ihr die Münze zurück.

Mit einem Mal war es verdächtig still im „Silver Dagger“. Selbst Fat Bill, der zwei Kollegen im Schwitzkasten hielt, glotzte interessiert herüber.

„Kundschaft im Anmarsch! Benehmt euch, Jungs“, flötete Joey und geizte nicht mit ihrem hübschesten Baristalächeln. Tische und Sesseln wurden wieder fein säuberlich aufgestellt und Scherben zur Seite gekehrt.

„Red, nehme ich an. Die Wolfsjägerin?“ Die dunkle Stimme passte zum Armani-Anzug. Sie brachte definitiv Saiten zum Schwingen.

Red strich sich eine rote Haarsträhne nach hinten. „Was hat mich verraten?“

Er sah sich amüsiert im Schankraum um. Er wirkte, als könnte er es mit jedem Mann hier aufnehmen. „Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?“

„Sie stehen mitten in meinem Büro. Wir renovieren gerade.“

Er lächelte schmal. „Das sehe ich.“ Er nickte in Richtung eines der Tische und Männer, die dort saßen, machten von sich aus Platz. Irgendwie war der Kerl unheimlich. Sie schnupperte, konnte jedoch nichts riechen – außer dem starken Geruch von gebratenen Zwiebeln, verschüttetem Whiskey, Tabakrauch, Männerschweiß, dem billigen Parfum der Mädchen und seinem anregenden Aftershave. Er setzte sich und gab Joey einen Wink. Sie machte eine Flasche vom Besten auf.

Red seufzte und setzte sich. Das war ja fast wie ein Date. Es war schon eine ganze Weile her, dass sie mit einem potenziellen Auftraggeber an einem Tisch gesessen hatte. Noch dazu mit einem so attraktiven.

„Ich würde gern ihre Dienste in Anspruch nehmen“, kam er ohne Umschweife zur Sache. Cindy servierte die beiden Drinks samt Flasche, beugte sich vor und ging auf Nummer sicher, dass er auch ja ihr Dekolleté beachtete. Und das tat er auch. Red hob die Augenbrauen und verschränkte die Arme.

„Interessiert?“

„Noch sitze ich hier, oder?“

Er grinste und verdrehte die Augen. Genüsslich nahm er einen Schluck aus seinem Glas und schnalzte mit der Zunge. „Sie sollen ein Tier für mich erlegen.“

„Ein Tier?“

„Einen Wolf.“ Er hob vielsagend die Augenbrauen. „Sie jagen doch Wölfe, oder?“

„Die Wolfsjagd ist verboten. Wölfe stehen unter Naturschutz.“

„Wir wissen doch beide, von welcher Art Wolf ich spreche“, seufzte er ungeduldig und tippte auf das „Mondschein“-Symbol des hochprozentigen Whiskeys. „Die Art Wölfe, für die ein Silberdolch am besten geeignet ist.“

Red nickte. Offenbar wusste der Typ Bescheid. Oder er glaubte, Bescheid zu wissen.

Sie lehnte sich im Stuhl zurück.

„Was schwebt Ihnen vor?“

„Sie mögen doch Goldmünzen, Red … Wie wäre es mit hundert Stück davon?“

„Einhundert Krugerrand-Münzen?“ Sie lachte erstaunt auf.

„Oder hunderttausend in bar.“ Er zuckte leichthin mit den Schultern.

„In Bitcoins wäre mir das lieber.“

„Auch das ist möglich – solange Sie den Wolf töten.“

Red leckte sich über die Lippen und schüttelte den Kopf. „Eine stolze Summe. Und an welchen Wolf hätten Sie dabei gedacht?“ Sie musterte ihn.

Er ließ sich Zeit, zu antworten.

„Nun … Man nennt ihn nur … ‚den Fürsten’.“

Red begann zu lachen. So laut, dass einige Jäger herübersahen.

„Natürlich – und als Nächstes seine Heiligkeit in Rom.“

„Ich scherze nicht.“

„Ich ebenso wenig. Was Sie verlangen, ist unmöglich. Erstens ist er nur ein Gerücht. Zweitens ist ein Mann, dem man diese Macht nachsagt, viel zu stark bewacht. Und drittens …“

„Hunderttausend sofort. Und noch einmal hunderttausend, wenn der Job erledigt ist.“

Red schnaufte. Jetzt brauchte sie noch einen Drink. Sie nahm einen Schluck. Fuck, der Alkoholgehalt war stark genug, einem die Sehkraft wegzubrennen.

„Keine Sorge, ich bringe Sie in seine Nähe. Ich gebe Ihnen sogar eine Waffe mit, neben der Ihre wie Spielzeuge aussehen.“

Red warf einen vielsagenden Blick zu Joey. Die schöne Barkeeperin schüttelte unmerklich den Kopf. Sie hatte keine Ahnung, wer dieser Mann war.

„Danke für den Drink … wie auch immer Sie heißen. Aber ich bin nicht interessiert.“ Red stand auf.

„Nur ein toter Wolf ist ein guter Wolf. Niemand weiß das besser als Sie, Red, nicht wahr?“

„Was wollen Sie damit sagen?“ Ihre Nasenflügel blähten sich. Zu gern hätte sie den Geruch des Mannes in sich aufgenommen. Aber dafür war es hier einfach zu überfüllt. Zu verraucht. Zu stickig.

„Dass der Fürst nicht immer ‚der Fürst’ war. Er war wie jeder andere auch einmal etwas anderes. Er war der Mann fürs Grobe. Der, der die Drecksarbeit erledigte.“

„Ich hab’ genug gehört. Ich mache das nicht!“

„Dreizehnter April. Ihr neunter Geburtstag. Vor zehn Jahren.“

Red hielt mitten im Schritt inne. Eiskalt lief es ihren Rücken hinunter. „Was … Was haben Sie gesagt?“

Er grinste nur.