Die Kemerelle Saga: Aska Die Stute Des Gottkaisers


Aska Die Stute Des Gottkaisers -


1

Ich öffnete die Augen – und schlagartig wurde es mir bewusst.

Ich … Ich war eine Gefangene!

SEINE Gefangene.

Schiere Panik kroch in meinen Gedanken hoch. Mein trommelnder Herzschlag jagte meinen Atem vor sich her und mein Mund fühlte sich seltsam trocken an.

Ich blinzelte in die kerzenerhellte Dunkelheit. Ich lag in einem großen, prunkvollen Zelt. Allein. Blitzschnell griff ich zu meinem blanken Schoß hinab. Dalas’Ka sei Dank! Meine Jungfräulichkeit schien unversehrt geblieben zu sein. Doch meine Brüste – sie lagen frei. Meine Tunika, meine brünierte Rüstung, meine Waffen und selbst meine hoch geschnürten Sandalen – sie alle waren verschwunden.

Ich … Ich war nackt.

Völlig nackt!

Errötend blickte ich an mir herunter. Mein üblicherweise zu einem hüftlangen Zopf gebundenes Haar floss meinen entblößten Körper hinab und bedeckte nur unzureichend meine stark gewölbten Brüste.

Wer immer mich ausgezogen hatte, hatte alles – wirklich ALLES – von mir gesehen.

„Na, Schlafmützchen – endlich erwacht?“ Eine herrlich männliche Stimme schnitt durch das Dunkel.

Ich schrak hoch und wandte den Kopf. Ich war also doch nicht allein.

Der schwere, barbarische, milareinische Akzent mit unverkennbar maleyanischem Einschlag weckte in mir die urplötzliche Sehnsucht, die weiten Steppen meiner Heimat hinter mir zu lassen und über das endlose Meer zu blicken. Bis dorthin, wo sich Wasser und Himmel in einer sinnlichen Umarmung berührten.

Ich schluckte hart.

„Weißt du, wer ich bin?“, fragte er.

Ein glühendes Augenpaar starrte mich aus der kerzenerhellten Dunkelheit an.

Ich kannte diese Stimme – ich kannte sie nur zu gut!

Er war der Mann, der mich besiegt hatte – im Zweikampf geschlagen.

Zwanglos saß er in seinem bequemen Stuhl, der dem Thron eines Königs würdig war, und schenkte sich aus einem Steinkrug nach. Der prunkvolle Goldbecher in seiner Faust klirrte. Mit einem genussvollen Schnalzen seiner Zunge gönnte er sich einen Schluck und schob die einsam am Tisch brennende Kerze näher zu sich heran.

Die Schatten tanzten flackernd über sein beeindruckendes Gesicht. Er sah gut aus … Für einen Mann. Und dazu sein muskulöser, wie Bronze schimmernder Oberkörper …

Heilige Dalas’Ka – kein Mann hätte der Grund für ein derartiges Herzklopfen in meiner Brust sein dürfen.

Unwillkürlich wurde mir bewusst, dass meine vollen, runden Brüste im Kerzenlicht warm und gelb schimmerten. Dass sich meine kleinen rosa Spitzen schmerzhaft zusammenzogen. Und DASS ich völlig nackt vor ihm saß!

Ich errötete hoffnungslos. Mein Schoß schwebte.

Oh Dalas’Ka, hilf mir! Er sah sogar noch besser aus, als in meiner Vorstellung. Stark, unbeugsam, von den Göttern höchstselbst gezeugt. Sein Dreitagesbart verlieh ihm etwas Verwegenes – etwas, das man bei dalas’Kanischen Männern vergeblich suchte. Der nackte Oberkörper passte zu ihm und die kräftige Ausbeulung seiner Beinkleider … Ich unterdrückte die unbestimmte Unruhe in meiner Mitte und versuchte, ihm in die Augen zu sehen. Auf seine Stirn, wo seine schlecht verheilte Narbe schimmernd Schatten warf.

Ja, ich wusste, wer er war.

Ich wusste es sogar zu genau.

Und ich wusste auch wieder, welche unsäglichen Begebenheiten vor ein paar Wochen dazu geführt hatten, dass ich mich in dieser ungeheuerlichen Situation wiederfand …

2

Ich ließ „Unerschrocken“ meine Fersen spüren und ritt im gestreckten Galopp um den letzten Hügel herum. Die Kraft meiner Stute übertrug sich durch den Sattel direkt in meinen Schoß und rang mir ein tiefes Seufzen ab.

Ohne Vorwarnung ragte die nördliche Grenzmauer in all ihrer Ehrfurcht gebietenden Macht vor mir auf.

Die große Mauer …

Die schwarze Mauer.

Manchmal auch die Blut weinende Mauer.

Fünfzehn Fuß hoch, sich eine halbe Doppelschrittmeile erstreckend inmitten felsiger, unwegsamer Hügel. Ein dreißig Fuß breites Tor schützte das Tal und damit die hinter mir liegende Dalas’Kanische Steppe.

Bitte, lass sie wohlauf sein – bitte, oh heilige Dalas’Ka, erhöre mich!!

„Unerschrocken“ verkürzte die letzte Meile in Windeseile. Weit hallte der Ruf des weiblichen Wachpostens über die Ebene und die junge Wachhabende vom Dienst sowie die Kommandantin der Mauer traten aus der Unterkunft des massiven Ostturms. Ihnen folgten eine Hauptfrau der Grenzreiterinnen und eine hohe Priestervertreterin der Krone. Über Ecken war jede Einzelne von ihnen mit mir und dem Herrscherhaus verwandt.

Die Ereignisse des letzten Tages hatten für Aufsehen gesorgt. Und sie hatten etliche Fragen aufgeworfen. Wie hatte eine Hundertschaft Wagenreiterinnen verschwinden können, ohne Spuren zu hinterlassen?

Ich wollte keine Zeit verschwenden. Bevor „Unerschrocken“ noch zum Halt gekommen war, sprang ich von ihrem Rücken.

„Wo ist sie?“

„Auf der mittleren Turmterrasse, Thron-Kommandantin“, antwortete die Befehlshaberin der Mauer ehrerbietig. „Sie erholt sich von den Strapazen ihres langen Marsches.“

Ich unterdrückte eine Verwünschung – „Kümmert euch um meine Stute!“ – und hastete an den vier jungen Frauen vorbei die Stufen zur Schlachtmauer hinauf.

Ich hatte nie verstanden, warum Menschen Bauwerke wie dieses errichteten. Aus Stein. Ursprünglich war die Grenzmauer auch nicht zu unserem Schutz gebaut worden. Sondern zum Schutz vor UNS. Doch seit wenigen Generationen kontrollierten wir sie. Sie war das Einzige, was unser auserwähltes Volk vor den schwächlichen und dekadenten Jomdah-Ländern des Nordens trennte.

Erhitzt von dem langen Ritt nahm ich die letzte Stufe.

Und …

Dalas!

Sie ruhte auf einem bequemen Lager unter einem Baldachin. Sie lebte, wirkte gesund und heil, bis auf …

Oh.

Ihr Bauch war stark gerundet. Zu stark, um darüber hinwegzutäuschen, was mit ihr passiert war. Die Frucht ihres Leibes war schon zu weit fortgeschritten.

„Aska!“, freute sie sich und streckte einen Arm nach mir aus.

„Große Schwester.“ Ich versuchte zu lächeln – was mir schwerfiel angesichts ihres Zustands. Ich setzte mich ihr zur Seite und küsste ihre Hand.

Zwei blutjunge Speerträgerinnen nickten mir zu. Sie waren als Dienerinnen für meine Schwester abgestellt worden.

„Bringt nasse Tücher und eine Erfrischung für die Thron-Kommandantin“, hörte ich die Befehlshaberin der Mauer rufen. Sie und die anderen Offizierinnen waren mir gefolgt. Dabei hätte ich zu gern für einen Moment allein mit meiner Schwester gesprochen.

Nun, ich hätte es befehlen können, aber … Schwangere Frauen waren kein alltäglicher Anblick. Schon gar nicht hier. Und der Wunsch nach einem eigenen Babybauch stand den jungen Frauen ins Gesicht geschrieben. Auch ich ertappte mich dabei, dass ich meiner Schwester immerzu auf den dicken, runden Bauch starrte. Endlich setzten sich die beiden Speerträgerinnen in Bewegung.

„Thron-Kommandantin?!“ Dalas hob anerkennend die Augenbrauen.

Ich zuckte mit den Schultern und lächelte. „Die große Herrscherin hielt es für das Klügste, mich mit deinen Aufgaben zu betrauen. Eine weise Entscheidung, denn ich habe von der Besten gelernt.“

Dalas senkte den Blick und vergrub ihr Gesicht in ihrer Hand. „Ich bin nicht mehr die Beste, Aska, und ich war es auch nie. Der Krieg hat sich verändert. Der Feind hat sich verändert. Ich fürchte, diesem neuen Gegner sind wir nicht gewachsen.“

„Sprich nicht in solch frevelhaften Worten, Dalas“, flüsterte ich. „Das ist Blasphemie.“ Schlimm genug, dass die anderen das alles mit anhörten. Vor allem die jungfräuliche Priesterin in Weiß – die Religionshüterin und Bewahrerin der alten Schriften.

„Ach, Aska …“ Sie sah mir tief in die Augen. Ich spürte, dass ihr Glaube tief erschüttert war.

„Dalas.“ Ich schloss beschwörend meine Finger um ihre Hand. „Was genau ist passiert? Wo sind die Frauen deiner Hundertschaft?“

Die beiden Speerträgerinnen kehrten mit dem Gewünschten zurück, aber ich winkte sie fort. Ich brauchte nichts.

Dalas schüttelte den Kopf und betastete ihren stark gewölbten Bauch.

„Nach unserer Gefangennahme habe ich keines meiner Mädchen jemals wieder gesehen. Sie verschwanden, wie so viele andere vor uns … Erst vor wenigen Tagen gelang mir die Flucht. Es … Es war alles ziemlich chaotisch …“

Ich hatte Dalas noch nie so zart und zerbrechlich erlebt. So … so schutzbedürftig. Von der starken Kriegerin, die ich stets bewundert und respektiert hatte, war kaum noch etwas übrig.

„Wo ist der Sklave, den du als Erzeuger deines Kindes auserwählt hast?“

„Mein Sklave? Es … Es gibt keinen SKLAVEN, Aska.“ Sie blickte beschämt auf ihren Bauch.

Es war sogar noch schlimmer, als ich befürchtet hatte.

„Kei-Keinen Sklaven?! Wie … Wie ist denn das möglich?“, mischte sich die jungfräuliche Priesterin ein. Erschüttert sah sie von einem zum anderen. Der Gedanke, dass ein Mann während des Akts der Zeugung nicht an Händen und Füßen gefesselt war, schien sie völlig zu verstören. Und MICH beunruhigte das auch – mit einem höchst lustvollen Ziehen in meinem Schoß.

„Wer hat dir das angetan, Dalas?“

Sie verschränkte schützend ihre Hände auf ihrem Bauch.

„Die Söhne … Kemilarens.“

Es wurde totenstill.

Niemand von uns wagte, auch nur zu atmen.

Lediglich der Wind der Steppe sang sein bekanntes, melancholisches Lied.

Die Söhne Kemilarens???

Heilige Dalas’Ka!

Dann war es also wahr???

Die Drachenbrut des Gottkaisers war wirklich hier? An der Grenze zu den verweichlichten Ländern des Nordens? An den Toren zu Dalas’Ka?!

„Sag mir ihre Namen“, fand ich als Erste meine Worte wieder. Meine Stimme schwankte. Verflucht wollte ich sein, wenn ich mir den Schrecken, den ich empfand, anhören lassen würde.

„Ihre Namen sind doch unwichtig.“

„Ihre Namen“, beharrte ich.

„Aren … Kolo und …“ Dalas zögerte. „Mal.“ Der Anflug eines Lächelns huschte über ihre sinnlichen Lippen.

Was hatten diese Männer nur mit meiner Schwester gemacht? Was, bei Soleter, hatten sie mit ihr angestellt? Rosige Wangen, zart wie das blühende Leben … Sie war doch nur noch ein Schatten der einstigen Kriegerin, die sie früher gewesen war. Und das wirklich Schlimme daran – sie schien über ihren Zustand nicht einmal unglücklich zu sein. Im Gegenteil.

„Welcher von ihnen war es?“ Wut kochte in mir hoch.

Dalas hob den Blick. Verständnislos runzelte sie die Stirn.

„Wer von ihnen hat seinen Samen in deinen Bauch gepflanzt?“

Ihre schuldbewusste Miene war Antwort genug.

„Alle drei.“

Alle drei??

Die Kriegerinnen erbleichten und erröteten zugleich.

Mein Schoß machte einen Satz!

„Was???“ Das Blut tobte in meinen Adern. Ich ballte die Hände zu Fäusten und brüllte einen wütenden Schrei in Richtung der Nordländer hinaus.

Männer!!! Sie … Sie waren Tiere!!! Allesamt! Sie vergingen sich an jeder Frau, die sie in ihre Finger bekamen – wenn man nicht entsprechende Vorkehrungen traf. Endgültige und unwiderrufliche Vorkehrungen!

Erschrocken und ein wenig verlegen blickten sich die Offizierinnen und die jungen Speerträgerinnen an. Dalas hielt den Blick gesenkt.

Sie war entehrt. Geschändet. „Weiß“ würde sie nie wieder tragen können. Und das Kind in ihrem Bauch war eine Schande. Eine Schande für unser Volk. Eine Schande für unsere Familie. Und eine Schande für sie selbst.

„Du wurdest von ihnen mit Gewalt genommen?!“ Natürlich war es so. Sie wäre eher gestorben, als sich diesen Tieren freiwillig hinzugeben.

„Ich werde sie alle entmannen“, schwor ich mit geballter Faust. „Einen nach dem anderen!!“ Der nächste Feldzug würde sehr, sehr blutig werden! „Sie werden dafür büßen – mein Wort darauf, Dalas. Ich werde sie leiden lassen! Für dich und die Schande, die sie über uns und unsere Familie gebracht haben.“

„Aska, nein.“ Entschieden schüttelte Dalas den Kopf. „Einer von ihnen hatte … Gefallen an mir gefunden.“ Sie errötete. „Ich war an seiner Seite in vielen Städten. Nicht nur in Jomdah-Städten, Aska – auch in maleyanischen Städten. Die Nordküste ist voll von ihnen.“

Ich rümpfte die Nase. Städte! Städte verbrauchten Weidegründe. Und ihre hohen Mauern hinderten uns von Jahr zu Jahr mehr daran, uns zu nehmen, was uns rechtmäßig zustand – Erzeuger für unsere Kinder.

„Ich habe die Menschen gesehen, Aska. Frauen und Männer, die in einer EHE zusammenleben. Und glücklich sind.“

Eine Ehe zwischen … Mann und Frau?? Zwischen Mann UND Frau??? Ich schluckte.

„Genug!“ Heftig atmete ich ein. Ehe mit einem … mit einem Mann?? Allein der Gedanke war obszön und gotteslästerlich. Männer waren zum Dienen geboren und um ihren Herrinnen Kinder zu schenken – wann immer die Frau es befahl. Zu nichts Anderem!!! Stabile Beziehungen konnten nur aus den Verbindungen zweier Frauen erwachsen!

„Die lange Zeit in diesen barbarischen Ländern hat deinen Geist geschwächt, Schwester.“

Als junger Speer hatte ich selbst in einem halben Dutzend Städte der Jomdahs spioniert. Die Erfahrungen, die ich dort gemacht hatte, waren zu verstörend gewesen, um sich daran erinnern zu wollen.

„Wie absurd das alles ist, was du gesehen hast, wird dir wieder bewusst werden, wenn du zu Kräften gekommen bist und frei durch die Steppenweiten Dalas’Kas reiten kannst.“